Volksfürsorge bAV:
Kurzfassung

Dieser Studienführer bietet einen strukturierten Überblick über die komplexe betriebliche Altersversorgung (bAV) der ehemaligen Volksfürsorge. Er beleuchtet die relevanten Regelwerke, die beteiligten Akteure, die zugrundeliegenden Rechtsprinzipien sowie die zentralen Gerichtsurteile des Bundesarbeitsgerichts (BAG), die aus dem Streit um Rentenanpassungen hervorgegangen sind.

Volksfürsorge Altersversorgung

1. Einführung: Struktur und Bedeutung der Volksfürsorge bAV

Die bAV der ehemaligen Volksfürsorge ist ein System zur Alters-, Invaliditäts- und Hinterbliebenenversorgung ihrer Arbeitnehmer. Sie stellt einen Rechtsanspruch dar, der auf früheren Zusagen des Arbeitgebers basiert. Die Bedeutung solcher Regelungen liegt in der Information der Arbeitnehmer über ihre Ansprüche und die maßgeblichen Bestimmungen. Nach der Übernahme der Volksfürsorge im Jahr 2000 trat die Generali Deutschland AG als Rechtsnachfolgerin in die Versorgungsverpflichtungen ein und ist seither der Versorgungsschuldner.

Volksfürsorge Altersversorgung

3. Historischer Überblick

Die Wurzeln der Volksfürsorge bAV reichen lange zurück.

  • Die Versorgungskasse (VK) wurde bereits am 21. Dezember 1940 gegründet und erhielt am 22. Dezember 1941 die Erlaubnis zum Geschäftsbetrieb. Sie war ein kleinerer Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit (VVaG) und gewährte Renten nach Satzung und AVB.
  • Das Betriebliche Versorgungswerk (BVW) wurde ab 1961 etabliert. Es handelte sich um eine Betriebsvereinbarung und regelte Direktzusagen zur bAV.
  • Die Versorgungsordnung von 1985 (VO 85) trat am 01.04.1985 in Kraft. Sie basierte auf einem Tarifvertrag und begründete ebenfalls einen Rechtsanspruch auf Betriebsrente. Sie galt grundsätzlich für Arbeitnehmer, die nach dem 31.03.1985 eintraten.

In den Jahren 2015 und 2016 kam es zu einem Konflikt, als die Generali geringere Anpassungen an den laufenden Betriebsrenten vornahm als die Steigerung der gesetzlichen Renten. Dies führte zu einer Reihe von Rechtsstreitigkeiten, die bis vor das Bundesarbeitsgericht (BAG) gelangten.

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3. Zentrale Regelwerke

Die bAV der Volksfürsorge basiert auf mehreren nebeneinander existierenden Versorgungssystemen.

  • Versorgungskasse (VK): Ein VVaG, der Alters-, Invaliditäts- und Hinterbliebenenrenten zahlte. Ihre Regelungen finden sich in der Satzung und den Allgemeinen Versicherungsbedingungen (AVB).
  • Betriebliches Versorgungswerk (BVW): Eine Betriebsvereinbarung, die eine Gesamtversorgungszusage vorsah. Die Gesamtversorgungsbezüge setzten sich aus gesetzlicher Rente, VK-Rente und einer Pensionsergänzung zusammen. Das BVW enthielt Regelungen zur Anpassung der Gesamtversorgungsbezüge (§ 6 Abs. 1 BVW) und eine Abweichungsklausel bei "nicht vertretbarer" Anpassung (§ 6 Abs. 3 BVW).
  • Versorgungsordnung von 1985 (VO 85): Ein Tarifvertrag, der einen Rechtsanspruch auf Betriebsrente begründete. Die VO 85 sah kein System der Gesamtversorgung vor, sondern eine Versorgungsleistung. Auch sie enthielt eine grundsätzliche automatische Anpassung (§ 6 Abs. 1 VO 85) und eine Abweichungsklausel (§ 6 Abs. 4 VO 85).
  • Unterstützungskasse (UK): Ein weiterer Durchführungsweg, der durch Betriebsvereinbarung gegründet wurde und bei dem der Rechtsanspruch auf Leistungen gegenüber dem Trägerunternehmen besteht.

Relevant sind zudem allgemeine Gesetze wie das Betriebsrentengesetz (BetrAVG) (insbes. § 16 BetrAVG zur Anpassung und § 2 BetrAVG zur Unverfallbarkeit) und das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) (insbes. § 315 BGB zu billigem Ermessen).

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4. Akteure im Überblick

Im Konflikt um die Volksfürsorge bAV spielten verschiedene Parteien eine Rolle:

  • Arbeitgeber / Versorgungsschuldner: Die Generali Deutschland AG ist seit 2000 Rechtsnachfolgerin der Volksfürsorge und verantwortlich für die Versorgungsverpflichtungen.
  • Betriebsrentner / Arbeitnehmer: Die ehemaligen Mitarbeiter der Volksfürsorge und ihre Hinterbliebenen, die um ihre erworbenen Ansprüche und ihr Vertrauen in die Rentenzusagen kämpften. Sie standen im Zentrum der Auseinandersetzung.
  • Initiative KeineSorge.ORG: Eine Interessenvertretung von über 5.000 betroffenen Betriebsrentnern unter der Leitung von Klaus-Peter Kussmann. Sie unterstützte maßgeblich den Widerstand, informierte und mobilisierte die Betroffenen und trug zu den erfolgreichen Urteilen bei.
  • Bundesarbeitsgericht (BAG): Als höchstes deutsches Gericht für Arbeitsrecht spielte es eine zentrale Rolle bei der Klärung der Rechtsfragen und der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung.
  • Betriebsrat und Aufsichtsrat: Diese Gremien waren gemäß den Regelwerken bei Entscheidungen über abweichende Rentenanpassungen anzuhören.
  • Arbeitsrechtskanzlei Cremon (Rechtsanwalt Christoph Welscher): Vertrat viele Rentner rechtlich und erstritt erste Gerichtserfolge sowie wichtige Urteile vor höheren Instanzen, einschließlich des BAG.
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5. Der Konflikt und das Prinzip "Nicht Vertretbar"

Der zentrale Streitpunkt war die Auslegung des Begriffs "nicht vertretbar" in den Abweichungsklauseln des BVW (§ 6 Abs. 3) und der VO 85 (§ 6 Abs. 4). Die Generali berief sich auf diese Klauseln, um geringere Anpassungen als die gesetzliche Rentensteigerung vorzunehmen. Die Kriterien für "nicht vertretbar" waren in den Regelwerken nicht explizit definiert.

Das BAG präzisierte die Auslegung in seinen Urteilen. Demnach ist "vertretbar" im allgemeinen Sprachgebrauch als "als berechtigt ansehen lassend" zu verstehen. "Nicht vertretbar" setzt demnach keine zwingende wirtschaftliche Notlage des Unternehmens voraus. Allerdings erfordert die Entscheidung des Arbeitgebers eine umfassende Interessenabwägung unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Verhältnisse des Unternehmens sowie der Prinzipien der Verhältnismäßigkeit und des Vertrauensschutzes.

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6. Wichtige Rechtsprinzipien

Die BAG-Urteile betonten die Bedeutung mehrerer Rechtsprinzipien:

  • Gesamtversorgung: Dieses System im BVW sichert ein bestimmtes Gesamtversorgungsniveau aus verschiedenen Quellen. Die Anpassung bezog sich auf die gesamten Gesamtversorgungsbezüge, nicht auf isolierte Bestandteile.
  • Automatische Anpassung: Grundsätzlich sollten die Betriebsrenten jährlich zum 1. Juli entsprechend der Entwicklung der gesetzlichen Renten angepasst werden.
  • Vertrauensschutz & Verhältnismäßigkeit: Betriebsrentner dürfen auf die ursprünglichen Zusagen vertrauen. Abweichungen von der automatischen Anpassung sind nur unter strengen Voraussetzungen und nach umfassender Abwägung zulässig, die die Interessen der Betriebsrentner angemessen berücksichtigt.
  • Billiges Ermessen: Entscheidungen des Arbeitgebers im Rahmen der bAV müssen im Rahmen des billigen Ermessens erfolgen (§ 315 Abs. 1 BGB) und sind gerichtlich voll überprüfbar.
  • Bestimmtheitsgebot: Regelungen in Versorgungsordnungen müssen klar und präzise sein.
  • Unverfallbare Anwartschaft: Anspruch auf zukünftige bAV-Leistungen auch nach Ausscheiden, wenn bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind (§ 1b BetrAVG). Die Höhe wird oft nach dem Quotierungsprinzip berechnet (§ 2 BetrAVG). Arbeitgeber sind zur Information verpflichtet (§ 4a, § 7 Abs. 3 BetrAVG).
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7. Wegweisende BAG-Urteile

Das BAG hat in mehreren Verfahren zur Volksfürsorge bAV grundlegende Entscheidungen getroffen. Die wichtigsten Leiturteile vom 25. September 2018 sind:

  • BAG Urteil 3 AZR 333/17 (zum BVW): Das BAG stellte klar, dass die Generali lediglich zur gleichmäßigen Veränderung der Gesamtversorgungsbezüge berechtigt ist, nicht aber zur isolierten Anhebung einzelner Bestandteile wie der Pensionsergänzung. Die Systematik der Gesamtversorgung und Gesamtrentenfortschreibung im BVW wurde betont.
  • BAG Urteil 3 AZR 402/17 (zur VO 85): Das BAG präzisierte die Auslegung von "nicht vertretbar". Es stellte fest, dass der Begriff keine zwingende wirtschaftliche Notlage voraussetzt, aber eine umfassende Interessenabwägung unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Verhältnisse, der Verhältnismäßigkeit und des Vertrauensschutzes erfordert. Zudem deutete das BAG an, dass eine abweichende Anpassung in der VO 85 nur als einheitlicher prozentualer Steigerungssatz für alle Renten erfolgen darf.

Weitere wichtige Urteile sind:

  • BAG Urteil 3 AZR 468/17: Bestätigte im Wesentlichen die Verpflichtung zur Anpassung der Gesamtversorgungsbezüge im BVW und wies eine isolierte Erhöhung der Pensionsergänzung als rechtswidrig zurück.
  • BAG Urteil 3 AZR 23/18: Bestätigte den Anspruch eines Klägers auf Anpassung seiner Pensionsergänzung entsprechend der Steigerung der gesetzlichen Renten; die geringere Anpassung der Beklagten wurde für unwirksam erklärt.
  • BAG Urteil 3 AZR 127/18: Traf eine wichtige Entscheidung zur Anpassung von Betriebsrenten im Zusammenhang mit Aufhebungsvereinbarungen. Es stellte fest, dass eine Rentenanpassung, die vertraglich auf die Bestimmungen des BVW verweist, eine Anpassung entsprechend der gesetzlichen Rente erfordert.
  • BAG Urteil 3 AZR 222/18: Ein Urteil, das in den Quellen auch im Zusammenhang mit der Auslegung des BVW (ähnlich 333/17) und Aufhebungsvereinbarungen erwähnt wird.
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8. Wichtige Begriffe und Abkürzungen

Das Thema Volksfürsorge bAV umfasst spezifische Begriffe und Abkürzungen. Eine umfassende Liste findet sich in den Quellen. Einige zentrale Begriffe sind:

  • bAV: Betriebliche Altersversorgung.
  • BVW: Betriebliches Versorgungswerk.
  • VO 85: Versorgungsordnung von 1985.
  • VK: Versorgungskasse.
  • BetrAVG: Betriebsrentengesetz.
  • BAG: Bundesarbeitsgericht.
  • Gesamtversorgung: System im BVW.
  • Pensionsergänzung (Vofue-Rente): Bestandteil der Gesamtversorgung im BVW.
  • "nicht vertretbar": Unbestimmter Rechtsbegriff in den Abweichungsklauseln.
  • Unverfallbare Anwartschaft (UVA): Anspruch auf zukünftige Leistungen nach Ausscheiden.
  • SSY: Konzernstrategie der Generali ("Simpler, Smarter for You").
  • GD: Generali Deutschland AG.
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9. Ausblick

Die BAG-Urteile haben die Rechte der Betriebsrentner erheblich gestärkt und wichtige Leitlinien gesetzt. Die Generali Deutschland AG bleibt für die Anpassung der bAV-Leistungen verantwortlich und muss dabei die Grundsätze des Vertrauensschutzes und der Verhältnismäßigkeit beachten. Die Initiative KeineSorge.ORG bleibt ein wichtiger Ansprechpartner für Betroffene und überwacht die Einhaltung der Rechte.

Dieser Studienführer fasst die Kerninformationen aus den bereitgestellten Quellen zusammen. Für detaillierte Informationen zu spezifischen Regelwerken, Rechtsprinzipien oder Urteilen sollten die einzelnen Quellen konsultiert werden.